Im Interview “Letztlich ist Bitcoin auch Fiatgeld”: Grünen-Politiker Sven Giegold im Interview

Sven Giegold beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Regulierung des Finanzmarkts. Seit 2009 ist er Mitglied im Europäischen Parlament. Wir haben mit ihm über Bitcoins Energieverbrauch, Weihnachtsbeleuchtung und die Rolle des Staates im Geldsystem gesprochen.

David Scheider
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Sven Giegold

Beitragsbild: Dominik Butzmann

Dieser Artikel erschien zuerst in der Kryptokompass-Ausgabe 53 vom November 2021.

BTC-ECHO: Herr Giegold, würden Sie Bitcoin gerne verbieten?

Sven Giegold: Nein, das will ich nicht. Und das gilt für die Krypto-Assets insgesamt. Wir wollen nur, dass sich diese auch an die Regeln halten, die wir im Finanzsystem aus guten Gründen etabliert haben. Insofern geht es darum, das Bitcoin-Protokoll und die Regeln für Krypto-Dienstleister so zu ändern, dass Ziele des Gemeinwohls nicht beschädigt werden. Die Chancen, die in der Technologie liegen, wollen wir aber heben. Ich bin fasziniert von der Krypto-Technologie. Ich finde die Vorstellung, dass ein Protokoll in Zukunft Transparenz herstellt über Vorgänge, die heute in Behörden oder Finanzkonzernen verborgen sind, sehr spannend.

BTC-ECHO: “Von großen Krypto-Assets, die auf nicht nachhaltiges Mining setzen, müssten Krypto-Dienstleister*innen dann nach einer Übergangsfrist ihre Finger lassen”, schreiben Sie auf Ihrer Website. Klingt für mich nach einem Bitcoin-Verbot?

Sven Giegold: Wenn Bitcoin in dem Maße weiter benutzt wird wie heute, dann muss Klimaschutz hier großgeschrieben werden. Wir haben auf der Welt keine unendlichen Energiemengen. Und es ist möglich, das Mining so zu gestalten, dass damit weniger Ressourcenverbrauch einhergeht. Das Bitcoin-Protokoll ist ja auch in der Vergangenheit schon mehrfach angepasst worden. Ich sehe nicht ein, dass grundsätzliche ökologische Standards nicht gelten sollen. Auch erneuerbare Energien stehen für die nächsten Jahrzehnte noch nicht unbegrenzt zur Verfügung. Das ist übrigens auch Mehrheitsmeinung im Europäischen Parlament. Wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen, dann kann kein Sektor sagen, Klimaschutz ist wichtig, aber nicht bei uns. Und das bedeutet, die Verifikation muss mit einer weniger energieintensiven Methode geschehen. Das vermeidet auch Elektroschrott.

“Kriminalitätsbekämpfung und Steuern funktionieren nur, wenn Privatheit […] nicht unbegrenzt ist.”

BTC-ECHO: In Ihrem Kommentar zu MiCA schlagen Sie vor, Exchanges das Geschäft mit Privacy Coins wie Monero zu verbieten. Wollen Sie allen Menschen den Zugang zu anonymen Geld verwehren, weil einige damit Schindluder treiben? Hat der Staat Ihrer Meinung nach das Recht, jede Transaktion mitzulesen?

Sven Giegold: Uns geht es nicht darum, dass der Staat alle Transaktionen mitliest. Das tut er im klassischen Finanzsektor aus guten Gründen nicht. Sondern es geht darum, dass man im Rahmen von Ermittlungen Zugriff auf Daten im Finanzbereich bekommen muss. Finanzdaten sind ganz besonders relevante Daten. Wir haben im traditionellen Finanzsektor gesehen, wohin die Möglichkeit führt, unbegrenzt Geld anonym investieren zu können. Das führt in die Legitimation von Korruption, in Ausbeutungsverhältnisse und Kriminalität. Wir haben große Fortschritte gemacht, hier Transparenz herzustellen. Die Steueroasen dieser Welt sind unter enormen Druck. Die klassische Steuerflucht funktioniert dank internationaler Zusammenarbeit nicht mehr. Die verbliebenen Schlupflöcher z.B. durch komplexe Briefkastenfirmenstrukturen müssen wir noch schließen. Kriminalitätsbekämpfung und Steuern funktionieren nur, wenn Privatheit in dem Bereich nicht unbegrenzt ist. In der Bitcoin Community gibt es viele, die wünschen sich diese absolute Anonymität. Das halte ich für falsch. Wir wollen nicht das klassische Geldsystem schönreden – der überwiegende Teil der Kriminalität wird darüber abgewickelt.

Aber, wenn jetzt eine neue Form von Finanzanlagen entsteht, dann können wir nicht die Standards, die wir aus guten Gründen im klassischen Finanzsystem entwickelt haben, in der neuen Technologie ad acta legen. Ein demokratischer Rechtsstaat muss in der Lage sein, Steuern zu erheben und nicht nur dann, wenn die Beteiligten auf freiwilliger Basis bereit dazu sind. Der Ruf nach absoluter Freiheit führt in die Unfreiheit der weniger Begüterten und Mächtigen. Wir wollen nicht Monero als solches verbieten. Wir wollen nur, dass der Staat die Möglichkeit hat, im Rahmen rechtsstaatlicher Prozesse auf die relevanten Daten zuzugreifen, auch wenn die Nutzer keine plumpen Fehler machen.

Europapolitiker Sven Giegold. Foto: Dominik Butzmann

“Natürlich ist die Sache mit El Salvador aber ein zweischneidiges Schwert.”

BTC-ECHO: Der Krypto-Markt ist ein sehr globaler. Am Beispiel Binance sieht man: Wird die Regulierung an einem Ort zu streng, ziehen die Unternehmen eben an einen Krypto-freundlicheren Standort. Würden strengere Regeln in Europa nicht auch dazu führen, dass hiesige Unternehmen einfach umsiedeln?

Sven Giegold: Die Gefahr besteht durchaus. Der Vorschlag der Europäischen Kommission beruht im Grunde auf folgender Idee: Ich erhöhe die Standards für in Europa registrierte Krypto-Dienstleister und schere mich nicht darum, was in Drittländern passiert. Wir Grüne versuchen das mit unseren Änderungsanträgen noch zu ändern. Wir sagen: Wer in Europa Geschäfte machen will, muss sich an europäische Standards halten.

Wir müssen dafür sorgen, dass die Anreize hoch sind, sich an europäische Standards zu halten. Wenn europäische Dienstleister mit Dienstleistern aus Drittländern kooperieren, müssen  auch diese die europäischen Standards erfüllen. Wir sind guter Hoffnung, dass auf Dauer die Maßnahmen im Bereich des Klimaschutzes und der Bekämpfung von Finanzkriminalität sich globalisieren werden, während uns die Krypto-Technologie mit ihren Vorzügen erhalten bleibt.

BTC-ECHO: El Salvador hat BTC jetzt zu einem gesetzlichen Zahlungsmittel gemacht. Gerade für Menschen im globalen Süden kann Bitcoin ein geeignetes Mittel der finanziellen Inklusion sein. Sollten wir diesen Menschen den Zugang zu Bitcoin nicht eher erleichtern?

Sven Giegold: Erstmal würde ich sagen, dass es stimmt, dass die Zahlungsdienstleister international mit Gebühren operieren, die mit den wahren Kosten nicht zu erklären sind. Menschen, die auf diese Dienstleistungen angewiesen sind, werden abgezockt. Dass hier also Wettbewerb entsteht, ist nur zu begrüßen.

Natürlich ist die Sache mit El Salvador aber ein zweischneidiges Schwert. Denn nachdem die Entscheidung gefallen ist, gab es erst einmal einen großen Kursrutsch bei Bitcoin. Dieser Kursrutsch ist für Zahlungsempfänger:innen natürlich ein großes Problem. Denn die Wertaufbewahrungsfunktion ist einfach nicht stabil.

“Auch an Bitcoin muss man glauben”

BTC-ECHO: Auch in Deutschland nehmen die Sorgen vor Inflation zu. Bundesbankpräsident Jens Weidmann erwartet 5 Prozent bis Jahresende. Viele Bitcoiner:innen sichern sich mit BTC als deflationärem Geld ab. Gibt es für dich auch positive Seiten an Kryptowährungen?

Sven Giegold: Ich finde, Bitcoin hat viele Vorzüge. Inflationssicherung ist bei der gegenwärtigen Volatilität keiner davon. Lassen Sie mich es so sagen: Letztlich ist Bitcoin auch Fiatgeld. Das überrascht in der Szene vielleicht. Aber auch an Bitcoin muss man glauben. Letztlich steht dahinter auch kein Gegenwert, sondern nur der Umstand, dass viele Akteure es nutzen wollen. Wenn andere Krypto-Assets entstehen, beispielsweise der digitale Euro, dann gewinnen die vielleicht das Währungsrennen. Aus meiner Sicht sind Krypto-Assets vor allem eine Form der Diversifizierung des Portfolios.

Die Vorzüge von Bitcoin liegen in der Transparenz, der Nachvollziehbarkeit und der Faszination der Selbstorganisation der Technologie. Dass Bitcoin aber besonders inflationsstabil ist, davon wäre ich erst mal nicht überzeugt.

“Wenn alle immer mit dem Finger auf andere zeigen, kommen wir mit dem Klimaschutz nicht weiter.”

BTC-ECHO: Sie kritisieren den Energieverbrauch von Bitcoin. Weihnachtsbeleuchtung in den USA verbraucht mehr Strom als das gesamte Bitcoin-Netzwerk. Wollen Sie auch Weihnachtsbeleuchtung stärker regulieren?

Sven Giegold: Ich kann mir natürlich immer Beispiele von Industrien suchen, die noch mehr Strom als das Bitcoin-Netzwerk verbrauchen. Das ist aber ein Whataboutism. Wenn alle immer mit dem Finger auf andere zeigen, kommen wir mit dem Klimaschutz nicht weiter. Ich habe zwar nicht geprüft, wie viel Strom die Weihnachtsbeleuchtung in den USA verbraucht. Aber auch da würde ich sagen: Natürlich müssen die verwendeten Lampen durch nachhaltige Beleuchtung ersetzt werden. Beim Klimaschutz müssen alle handeln, statt auf andere zu verweisen.

BTC-ECHO: “Von großen Krypto-Assets, die auf nicht nachhaltiges Mining setzen, müssten Krypto-Dienstleister*innen dann nach einer Übergangsfrist ihre Finger lassen”, schreiben Sie auf Ihrer Website. Was sind denn die Kriterien für “nicht nachhaltiges Mining” und wer legt diese fest?

Sven Giegold: Wir haben in unseren Änderungsanträgen vorgeschlagen, dass die Europäische Union dafür verbindliche Regeln setzt. Das wird in einem eigenen Gesetzgebungsverfahren entschieden. Unser Antrag ist übrigens sehr viel liberaler als andere, da wir kleine Krypto-Akteure nicht regulieren wollen. Wir streben also eine Art Experimentierklausel an.

BTC-ECHO: Wäre die Konsequenz daraus, dass Bitcoin auf Proof of Stake umstellen müsste?

Sven Giegold: Genau, das wäre eine Möglichkeit. Wir wissen ja von Ethereum, dass die da schon auf dem Weg sind. So etwas müsste Bitcoin dann auch machen. Aber vielleicht gibt es ja auch noch Alternativen. Für mich als Regulator kommt es nicht darauf an, festzulegen, wie das genau zu lösen ist. Uns Grünen ist wichtig, dass ein bestimmtes Energieverbrauchsniveau erreicht wird; ansonsten sollten wir Technologien aber offen regulieren.

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